Plaggenhütten
Was machen Radelwillige morgens zuerst? Sie ziehen das Rollo hoch und gucken in den Himmel, nicht auf der Suche nach Engeln oder so etwas Ähnlichem, sondern von der Frage bewegt, wie wird's Wetter?
Was machen Radelwillige morgens zuerst? Sie ziehen das Rollo hoch und gucken in den Himmel, nicht auf der Suche nach Engeln oder so etwas Ähnlichem, sondern von der Frage bewegt, wie wird's Wetter? Dann hören sie, Kaffee oder Tee schlürfend, den Wetterbericht und überprüfen das Gehörte mit der Wetter-App: Regen ab 15 Uhr, weil Regenfront von Holland und so weiter. Jetzt fällt die Entscheidung! So war's jedenfalls bei mir, und ich entschied: "Mistwetter1), wir fahren nur bis Café Muth in Walsum und dann retour." Weil es gerade goss und ich den Kühlturm der Steag hinter den Regenschleiern nur erahnen konnte, wollte ich just in der Befindlichkeit eines Weicheies die geplante Tour verkürzen. So eingestimmt und von meiner Regierung bestärkt begab ich mich zum donnerstäglichen Treffpunkt am Rathaus.
Ein Mensch war schon da, und dann kamen andere gelb Bewestete, lediglich NN1 mit Currywurstfarbener Jacke! Als aber ich etwas von einer verkürzten Tour anhub zu murmeln, begegnete ich eisenhartem Protest, so dass ich beschämt schwieg und sprach: "Gut, fahren wir wie vorgesehen zur Plaggenhütte und sammeln Esskastanien. Aber," so sprach ich weiter, "nur müssen wir vor unserer Tür ganz kurz stoppen, da ich das für diese lange Strecke erforderliche Equipment noch holen muss." Zum Glück lag das griffbereit in meinem Zimmerchen.
Zuvor hatte ich die Anwesenden als anwesend auf der Covid-19-bedingten Liste mit einem Häkchen versehen. Derweil trudelte NN2 ein und meldete Maschinenschaden an der Schaltung. NN3 eilte, den Defekt zu beheben. Erfolglos, wie er uns später mitteilte, aber er habe Bekanntschaft mit dem Verkäufer des nahen Fahrradgeschäftes gemacht, in dem er um einen Tropfen Öl bat. Dem Menschen da könne man, so entnahm ich seinem Bericht, schwerlich besondere Herzlichkeit oder Hilfsbereitschaft nachsagen. Mit zehn Minuten Verzögerung starteten wir endlich. An der Fähre harrte NN4 unser. Er begrüßte uns sogleich mit Mon Cheri's.
Bald ließen wir die historische Befestigungsmauer von Orsoy hinter uns. Von der dort einst ansässigen Tuchindustrie ahnt der Tourist, auch der radelnde nichts mehr. So fuhren wir auf Rheinberg zu, und auf dem Weg entspann sich zwischen NN4 und mir ein tiefschürfendes Gespräch, so dass wir schließlich auf einer Straße zu stehen kamen, die ich nicht auf meiner inneren Landkarte einzuordnen wusste. NN5 kam mir zu Hilfe; er hatte zumGlück die Route geladen. Ich war bis jetzt ohne Navi-Orientierungshilfe gefahren. Nein, als TL2) soll man, so lernte ich damit, keine Gespräch über Gott und die Welt führen. Lanzarote als Urlaubsziel und Magurabremsen, sowie die Torheiten eines Trumps sollten als Themen doch genügen, Themen, zu denen jede*r mehr oder weniger Un-, wie Scharfsinniges beisteuern kann.
Wie gesagt, NN5 sprang mir bei und schon winkte mir, so könnte ich sagen, der budberger Kirchturm zu: "Hier geht es lang!" Vor Rheinberg legten wir einen Zwischenstopp ein, wo ich den mir Lauschenden mitteilte, dass der Große TL sie grüßen lässt und wir ihn aufgrund seiner Verdienste zum Ehrenmitglied ernannt haben.
Wir radelten dann durch Rheinberg auf Wegen, die mir zum Teil von früheren Touren mit dem Großen TL bekannt waren, radelten durch Millingen und näherten uns Alpen. Auch dort, an einem bekannten Platz, legten wir eine Pause ein. "Dawammaschon," murmelte jemand der Tn. In der Tat, da waren wir schon einige Male.
Nun folgte eine Steigung von einigen hundert Metern Länge und alsbald waren wir auf dem Mühlenweg, an dem sich Einfamilienhäuschen mit Garage und Vorgärtchen reihen, hier und da ein Kleinbetrieb.
Wie kommen hier in die an und für sich flache Gegend Berge hin, die einem Fahrradfahrer schon mal zum Schwitzen bringen? Ob sich für Tn die Frage stellte oder nicht - ich konnte mich nicht enthalten, darauf hinzuweisen, dass wir uns auf einer Endmoräne befanden, die von der 300 Millionen Jahre zurückliegenden Eiszeit herrührt. So ist etwa auch die Sonsbecker Schweiz entstanden; nicht so die uns bekannte Spellner! Vielleicht werden unsere Nach-Nach-Nachfahren einmal von der Wehofener Schweiz sprechen, wenngleich sie anderen Ursprungs ist.
In der Ferne sah man Regen vorhangartig über die bewaldeten Hügel dahin ziehen, zum Glück in der Ferne; wir blieben verschont. Richtig: Regen war ja erst für 15 Uhr angekündigt.
Schließlich erreichten wir nach 34 km die Plaggenhütten , die verschiedentlich schon auf dem Donnerstags-Touren-Programm gestanden haben. An diesem Ort kann man ans Nachdenken kommen: 1770 hatten sich hier Menschen angesiedelt, die aus der Pfalz gekommen waren und sich eben hier, trotz des schlechten Bodens ein bessere Zukunft erhofften. Als Besenbinder! Ohne Warmdusche und Spülklosett, ohne 'Herd mit AutomatikProgrammen, Komfort Scroll Bedienung und Pyrolyse Selbstreinigung'3)! Und Fernsehen mit einer Tagesschau, die über die Schlechtigkeit der Menschen, zumal die der Regierenden berichtete, war auch nicht! - nicht dass die Menschen damals zu Napoleons Zeiten besser waren. So fragt man sich: Wie konnten sie damals überhaupt so leben. Nun ja, bis 1896 haben sie es ausgehalten und sind dann verschwunden, geblieben sind die Erinnerung und die "Baudenkmäler", die Grasplaggenhütten.
Ob sie damals die Eßkastanien-Bäume gepflanzt haben? Hatten sie nicht! Wer dann? Wie so oft hilft das Internet weiter. Die Rheinischen Solvay-Werke Borth, haben, so erfährt man da, am Ende des 19. Jahrhunderts 570 Hektar intensiv genutzte Bauernparzellen erworben und mit diesen Bäumen bepflanzt, weil deren Holz wertvoll ist und das Laub guten Humus bildet. Dem Forstmeister Hugo Feltes, der damals dafür verantwortlich war, sei postum gedankt, denn so konnten wir ADFC-Radler am 8.Oktober 2020 uns die Taschen mit Maronen füllen, sofern jemand dazu Lust verspürten.
Fast pünktlich um 13.46 h trafen wir am Griethmannshof ein. Die einen zogen es dort vor, sich an die Tische vor dem Eingang zu setzen, auf dass der Wind die Aerosole und Virus Covid-19 davon wehte, andere ließen es sich drinnen schmecken. Was? Selbstverständlich Kuchen und Kaffee. Der Kakao, den ich mit einem anderen bestellte, war dagegen eine etwas zuckrige, braune Plörre. Die Maschine sei schuld, sprach die Bedienung.
Nach der Pause ging es nach Veen, Ortsteil der Gemeinde Alpen, vorbei an Schule und Kirche, deren Turm schon von weitem, jenseits der abgeernteten Maisfelder zu sehen war. Deutsche Fallschirmspringer hatten ihn in den letzten Kriegstagen gesprengt. Deswegen stellt das im 13. Jahrhundert zuerst erbaut Kirchlein wohl auch keine touristische Attraktion dar. Über den nun zu radelnden Weg waren vor ein paar Wochen von Kevelaer kommend unsere Reifen schon einmal gerollt.
Hinter Menzelen steuerte ich mit der Gruppe auf die Brücke über die B57, die Xantener Straße zu, eine Überführung, die mir als kästchenlosen Radler sonst immer ein Seufzen entlockt, mich jetzt aber ob des mit 55 km/h heftig blasenden Rückenwindes wohlgemut nach oben und dann an dem Denkmal für das Hungerlager Rheinberg vorbei geradeaus rasen ließ.
In Büderich war es soweit. Mit 35 Minuten Verzögerung traf der angekündigte Regen ein und man zog Schutzkleidung über. NN6 hatte es zu eilig und verlies die Gruppe. Sie entzog sich der allgemeinen Verabschiedung, denn einige, die in Wesel Beheimateten, würden alsbald, das heißt, kurz hinter der Brücke, abbiegen. Als ich auf der Rheinbrücke wegen einer vom heftigen Rückenwind geöffneten Lenkertasche anhalten musste, stoben auch die anderen Tn an mir vorbei und verschwanden in der Ferne als gelbe Punkte.
So radelte ich denn allein, jedoch nicht durch die Lippeaue, nach einem ungestörtem "Telefonat" gen Heimat, wo ich nach 69 Kilometern um 17.50 Uhr eintraf.
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