Vorfahrer und „Followers“ - 49. KW 2021
Ich war wieder Vorfahrer. Bei dem Wort denke ich immer an „Vorfahren“. Nur haben meine Vorfahren mit dieser Funktion wenig zu tun. Ich fahre fünfzig oder hundert Kilometer vor und andere folgen mir
– auf einem Fahrrad mit und ohne elektronischer Hilfe, sprich: Kästchen. „Followers“, hier im Sinne von „Nachfolgern“, „Verfolger“, nicht „Jünger*in“1) (!). Vor Jahrenden war ich einmal eine Zeit lang „zertifizierter TourenGuide“. Aber das Zertifikat ist abgelaufen, gilt nicht mehr. Seither bin ich nur noch simpeler Vorfahrer – auf einem Simpelrad.
Am Do. der 49. Woche fuhr ich also am Rathaus in Voerde vor. Es war kalt. Des Klimawandels wegen war es wohl keine eisige Kälte, dennoch war dieser aus Südosten wehende Wind unangenehm. Immerhin hatten sich sieben Fahrwillige eingefunden, die mir zu folgen bereit waren. Warum nur sieben? Der Witterung wegen oder weil ich versäumt hatte, Weg und Wegbeschreibung im weltweiten Netz rechtzeitig mitzuteilen, daher auch nicht mit feurigen Worten angepriesen hatte? Immerhin war für unsere Höhenlage (26 m ü NHN2)) kein Schnee angesagt. Kurzzeitig schien sogar die Sonne.
Punkt 10 Uhr MEZ starteten wir gen Norden. Dort, wo die Bundesstraße 8 über die Lippe führt, erwarteten uns noch drei weitere Radbegeisterte mit gelber Weste und NN1, unübersehbar ohne. Ihm stellte ich eine leihweise zur Verfügung.
Wer kennt nicht die nun vor uns liegende Straße mit Rheinbrücke? Hunderte Male mit dem Pkw gefahren, etliche Male in Schleichtempo dahin gerollt? Da kennt man alles, zumindest jedes Schild. Auch ein Radfahrer kann da nichts Aufregendes, gar Spannendes entdecken, von der Baustelle einmal abgesehen. Doch selbst da tut der Radelnde besser daran, auf den Verkehr zu achten, als nach Spannendem Ausschau zu halten, selbst wenn, wie an diesem Donnerstag, kaum ein anderer Fahrradfahrer unterwegs war. Es war eben kein Wetter für Weicheier3) .
Linksrheinisch war es auf dem Deich ruhiger, nein: richtig ruhig und still. Da noch ein paar Rinder auf der Weide, dort der scheint’s träge dahin fließende Rheinstrom. Auf einem Sträßchen mit Einfamilienhäusern, der Hagelkreuzstraße, näherten wir uns der Mitte von Büderich, wo wir einen Stopp einlegten. Ich erzählte den Hörenden, denen sich inzwischen ein weiterer Tn angeschlossen hatte, kurz und vielleicht zu knapp, dass dieser Ort 1813 ratzeputz zerstört worden war: Napoleon brauchte freies Schussfeld. Unter Preußen erfolgte dann der Wiederaufbau, bei dem, wie heute noch erkennbar, Schinkel mitwirkte („preußischer Klassizismus“).4)
Auch von dem weiteren Weg durch die schneelose Winterlandschaft ist zum Glück nichts Aufregendes, gar Aufwühlendes zu berichten, es sei denn, jemand begeistert sich an Schottergärten, an dem leuchtenden Firlefanz an Fenstern wie in Vorgärten. In dieser Hinsicht Begeisterungsfähige kämen auf ihre Kosten.
Als ich, um die Stromversorgung meines Navis zu sichern, vor dem Schützenhaus St. Heinrich in Menszelen-West hielt, informierte ich die Mitradler*innen darüber, dass sich der Name St. Heinrich auf einen deutschen Kaiser beziehe, der 973- 1024 gelebt hat und als Schutzpatron der Kinderlosen, Behinderten und noch weiterer Volksgruppen gilt. Was dieses Schützenhäuschen, vor dem wir standen, sowie der Verein mit diesem Heinrich zu tun hat, konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Es lief da gerade kein Schützenbruder herum.
Vor Alpen unterbrachen wir die Fahrt und diskutierten über eine m.E. völlig unsinnige Sperre des Fahrradweges. Auch der mehrfache Hinweis verschiedener Mitradler wie -radlerinnen Das-war-schon-immer-da, das Sperrschild, überzeugten mich nicht von der Sinnhaftigkeit. Was soll’s!5)
Rheinberg war die nächste Station, Station mit Einkehr. Dort gibt es allerdings die Lokale nicht mehr, die wir vor vielen Jahren noch unter der Führung des Großen Tourenleiters anzusteuern pflegten. Nun erwartete man uns in der Restauration mit dem seltsamen Namen Deins. Dieses Lokal hatte ich auf Empfehlung eines ADFC-Genossen des Rheinberger ADFC’s ausgewählt und uns dort angekündigt. Nach einer sorgfältigen Prüfung der Seuchenpässe waren fünfundvierzig Minuten für Essen, Trinken und Aufwärmen angesagt.
Anschließend ging es über einige „Umkürzungen“ nach Orsoy zur Fähre. Dort angekommen verkündete NN2 zur allgemeinen Verblüffung den Wasserstand! Sie hatte das offenbar an dem Lichtlein an der Schrottsäule, die den Marktplatz in Voerde ziert, erkennen können. Ja, sie wusste sogar den Wasserstand vom Vortag! Des ungeachtet brachte uns die Fähre ans andere Ufer, wo ich meine Funktion als Vorfahrer mit ein paar Verschen ausklingen und die Eiligen davon fahren ließ. Nach weniger als 55 km erreichte der Rest der Gruppe kurze Zeit später gegen 15.30 Uhr die City von Voerde.
- Langenscheidt Dictionary
- Normalhöhennull (NHN)
- vgl 3.Woche 2019
- Interessierte können sich – wie kann es anders – bei Wikipedia noch weiter informieren
- Auf meine Anfrage an die Stadt Alpen zu der unsinnigen Sperre, erhielt ich folgende Antwort:
Sehr geehrter Herr Diederichs,
der von Ihnen beschriebene Streckenabschnitt ist nun ein Privatweg.Eine Beschilderung im nord-östlichen Bereich weißt darauf hin, dass der Radweg bzw. die Radroute geradeaus verläuft.Ich werde jedoch anregen, dass die Beschilderung vom jetzigen Grundstückseigner deutlicher auf die private Nutzung hinweist.
Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
gez. Markus Felbrach